Die Tür ist ein Ort des Übergangs. In der Architektur werden Türen dann eingeplant, wenn eine Wand eine Öffnung braucht, die bei Bedarf verschließbar sein soll. So können Luft, Feuchtigkeit, Hitze oder Kälte, so können Blicke und Geräusche oder Menschen nicht unbedingt von einem Raum in einen anderen gelangen. Während die Wand als Grenze zwischen zwei Räumen fungiert – sie produziert ein Hier und ein Dort, ein Drinnen und ein Draußen – zeugt die Tür von der Verbindung und damit von einer Ambivalenz zwischen den beiden Räumen: Hole ich die Kälte in den Raum, wenn ich die Tür öffne – oder entlasse ich ein Zuviel an Wärme hinaus, in den Raum auf der anderen Seite der Tür? Sogleich vermischen sich warme und kalte Luft. Auf der Schwelle der Tür löst sich die Ambiguität zweier Räume auf, im Kontakt zwischen den beiden Räumen wird die Ambivalenz erlebbar. Die offenstehenden Türen im Titel der Ausstellung doors left open von Kathrin Jobczyk könnten Türen zum Unbewussten sein – als solche werden Träume häufig verstanden – sie könnten aber auch die Türen sein, die wir in Beziehungen zu anderen Menschen absichtlich oder aus Versehen offen gelassen haben. Es kann sich um Türen handeln, die sich nur schlecht schließen lassen, oder die aus einer Leichtigkeit und unbekümmerter Achtlosigkeit heraus offen stehen gelassen werden.
Wenn wir die traumartige Kulisse betreten, zu der sich die Rauminstallation von doors left open verdichtet, gehen wir zunächst durch eine Arbeit, die nach dem lateinischen Wort für „tief“ und hoch“, aber auch „laut“, „hell“ – altus – betitelt ist. Sie besteht aus mehreren halbtransparenten Stoffbahnen, die als Projektionsflächen für ein Video dienen. Das Licht der Projektion fällt durch die Stoffe, die hintereinander in einem gewissen Abstand installiert sind. So wird das Videobild in der Tiefe des Raumes gleichzeitig in verschiedenen Helligkeiten und Größen sichtbar. Im Kontext der Vorbereitungen für die Ausstellung doors left open erzählte mir Kathrin Jobczyk von der Besonderheit des lateinischen Wortes „altus“, das zugleich „hoch“ und „tief“ bedeuten kann. In einer assoziativen Ordnung (wie der eines Traums) ist diese Gleichzeitigkeit gar nicht erstaunlich, vielmehr liegen diese Begriffe und die dahinterliegenden Konzepte schon direkt beieinander: Das erste Wort, das mir einfällt, wenn ich an „hoch“ denke, ist möglicherweise„tief“ und wenn etwas hoch ist, geht es daneben unweigerlich tief herunter, diese Konzepte können also nicht ohne einander existieren.
Die Gleichzeitigkeit der beiden Begriffsbedeutungen kann sinnbildlich für einen traumhaften Schwellenzustand verstanden werden, der innerhalb der raumgreifenden Installation spürbar wird. Auf den erwähnten Stoffbahnen, die in die Tiefe des Raumes gehen und die das Bild zugleich in verschiedenen Größen sichtbar werden lassen, ist Laub zu sehen, das sich langsam auflöst. Es scheint aus Eis zu bestehen und umgibt einen ebenso aus Eis geformten Torbogen. Sie ergeben ein zunächst statisch wirkendes Bild, das dadurch in Bewegung gerät, dass es Stück für Stück schmilzt – im Lauf dieses Prozesses wird der Raum immer dunkler, die Helligkeit des Raums wird bestimmt durch diese durchlässige Wand aus zarten Stoffbahnen und nimmt analog zu den langsamen Veränderungen der Videobilder zu oder ab.
Die Blätter und der Torbogen sind somit nach einer Weile verschwunden, daraufhin werden im hinteren Teil des Raumes Projektionen auf kleineren Flächen sichtbar: Flammen aus Eis scheinen auf und schmelzen über Brunnen, die aus weichen Schaumstoffziegeln aufgestapelt sind. Daraufhin erhält das Bild einer bergigen Landschaft aus Teig im vorderen Teil des Raumes Einzug: Berge, die – ausgelöst durch das Zusammenwirken von Hefe und Wärme – körperlich wabern und einatmen. Neben den Motiven, die sich häufig Elementen der mit dem menschlichen Körper unmittelbar interagierenden Architektur entlehnen (wie etwa Leitern, Torbögen oder Zaunelemente), ist das Arbeiten am Material (etwa mit Eis, Schaumstoff, Bauschaum, Teig, Satin und Tüll) in Kathrin Jobczyks Praxis wesentlich. Die Materialitäten der Objekte im Raum verschränken sich hierbei mit der ephemeren Erscheinung der Videos. Objekte und Videos tauchen nie für sich allein auf, sie werden erst im Zusammenspiel zu einem Ganzen, dessen Teile einander kontextualisieren und überlagern, aneinander anknüpfen und sich zu einer immersiven Rauminstallation verbinden. Das Zusammenspiel der einzelnen Motive und Materialien ist dabei vielfältig und voller fließender Übergänge. Ihre Beschaffenheit bewegt sich zwischen Weichheit und Erstarren, Zartheit und Widerstandskraft, einem störrischen Eigensinn und Aufplustern, einem langsamen Schmelzen oder Zusammenfallen.
Die somit dinglich und zugleich lebendig erscheinende Rauminstallation von doors left open wird untermalt von einer sphärischen Soundebene, in der Fragmente eines Texts hörbar sind. Sie erzählen von einer nahen Zukunft, die Zahl 2027 wird genannt. Es geht um eine Vorahnung, um eine rätselhafte Maschine, die niemand zu bedienen weiß, um Durchlässigkeit und Berührungen. „Niemand musste laut werden, um gehört zu werden“. „In aller Schwämme Poren“. „Du wolltest gehen.“ „Du Liebe.“ Es schwingt dabei ein Austarieren von Grenzen des (menschlichen) Daseins, von Verantwortung und von Leistbarkeit mit, das auch schon in anderen Arbeiten der Künstlerin eine Rolle spielt, in denen sie etwa die Alarmbereitschaft thematisiert, in der sich Pflegearbeit leistende Personen befinden. Die Ausstellung mit dem Titel „pharmacy of good intentions“ (Kunstverein Lüneburg, 2022) versammelte Arbeiten, die unter anderem auf das Sorgetragen und das Gefühl des Sich-Sorgens zwischen zwei Menschen Bezug nehmen. Während es dabei um die persönliche Ebene der zwischenmenschlichen Verantwortung ging, klingt nun eine weiter gefasste, geteilte Verantwortung, etwa für die Klimakatastrophe, an. Die Flammen aus Eis, die über den weichen Brunnen dahinschmelzen, wechseln sich nach ihrem Verschwinden wiederum mit Bildern von aufgehendem Hefeteig ab. In der Form des Teiges sind nun Gesichter zu erahnen.
Umkreist wird diese Szenerie, in deren Mitte ein Becken mit projizierten Wasserbewegungen steht, von einem abermals lebendig wirkenden Gebilde – eine Formation aus begrenzenden, zugleich beweglich und flexibel wirkenden Objekten, die wirken, als wären sie in einer Bewegung für einen Moment eingefroren. Die humorvolle Aura dieser Objekte steht ihrer lesbaren Botschaft gegenüber: Einige bilden Zeichen, vage erkennbar schreiben sie den Satz „when will you stop me“. Wieder geht es um einen Schwellenraum, hier ist es eine Grenzziehung: Wer stoppt hier wen? Und wenn ja, wann denn nun? Welche der Zeichen können klar gelesen, welche nur mit Mühe erkannt werden? Das Manische, Verzweifelte und Hilflose des Satzes hätte das Potenzial, sich dramatisch über den ganzen Raum der Ausstellung zu legen. Wäre da nicht die Möglichkeit, den Satz als provokante Aufforderung zu lesen. Die Formation der Schriftzeichen, die sich als eine bewegliche Abgrenzung zeigen, scheinen Spielräume und Handlungsoptionen in viele Richtungen zu öffnen.
Die Räume des Übergangs und der Ambivalenz, der offenen Türen und des Traumhaften sind Motive, die innerhalb der Ausstellung an verschiedenen Stellen aufscheinen und denen immer auch ein Potenzial innewohnt. Im Traum entziehen sich unsere inneren Bilder der sprachlichen Sortierung der Linearität und assoziative Verknüpfungen geben die Ordnung vor. Der Traum als Raum der Schwelle schafft also etwas Drittes, das nicht der Logik von Binarität und Gegensätzlichkeit folgt, festgefahrene Sortierungen werden verkompliziert, Ambivalenzen haben Raum. Träume dienen der Verarbeitung von Erlebtem und das Wanken zwischen Traum und Wachsein ist ein Zustand, der häufig eine besondere Klarheit mit sich bringt. Ideen und Gedanken, wichtige Entscheidungen können in den Momenten kurz nach dem Aufwachen oftmals klarer und spürbarer wirken, sie sind nicht mit den kognitiven Notwendigkeiten des Alltags, den vermeintlich klugen und linearen, rationalen Argumentationen des Wachseins vermischt. Text: Nora Brünger
Die Tür ist ein Ort des Übergangs. In der Architektur werden Türen dann eingeplant, wenn eine Wand eine Öffnung braucht, die bei Bedarf verschließbar sein soll. So können Luft, Feuchtigkeit, Hitze oder Kälte, so können Blicke und Geräusche oder Menschen nicht unbedingt von einem Raum in einen anderen gelangen. Während die Wand als Grenze zwischen zwei Räumen fungiert – sie produziert ein Hier und ein Dort, ein Drinnen und ein Draußen – zeugt die Tür von der Verbindung und damit von einer Ambivalenz zwischen den beiden Räumen: Hole ich die Kälte in den Raum, wenn ich die Tür öffne – oder entlasse ich ein Zuviel an Wärme hinaus, in den Raum auf der anderen Seite der Tür? Sogleich vermischen sich warme und kalte Luft. Auf der Schwelle der Tür löst sich die Ambiguität zweier Räume auf, im Kontakt zwischen den beiden Räumen wird die Ambivalenz erlebbar. Die offenstehenden Türen im Titel der Ausstellung doors left open von Kathrin Jobczyk könnten Türen zum Unbewussten sein – als solche werden Träume häufig verstanden – sie könnten aber auch die Türen sein, die wir in Beziehungen zu anderen Menschen absichtlich oder aus Versehen offen gelassen haben. Es kann sich um Türen handeln, die sich nur schlecht schließen lassen, oder die aus einer Leichtigkeit und unbekümmerter Achtlosigkeit heraus offen stehen gelassen werden.
Wenn wir die traumartige Kulisse betreten, zu der sich die Rauminstallation von doors left open verdichtet, gehen wir zunächst durch eine Arbeit, die nach dem lateinischen Wort für „tief“ und hoch“, aber auch „laut“, „hell“ – altus – betitelt ist. Sie besteht aus mehreren halbtransparenten Stoffbahnen, die als Projektionsflächen für ein Video dienen. Das Licht der Projektion fällt durch die Stoffe, die hintereinander in einem gewissen Abstand installiert sind. So wird das Videobild in der Tiefe des Raumes gleichzeitig in verschiedenen Helligkeiten und Größen sichtbar. Im Kontext der Vorbereitungen für die Ausstellung doors left open erzählte mir Kathrin Jobczyk von der Besonderheit des lateinischen Wortes „altus“, das zugleich „hoch“ und „tief“ bedeuten kann. In einer assoziativen Ordnung (wie der eines Traums) ist diese Gleichzeitigkeit gar nicht erstaunlich, vielmehr liegen diese Begriffe und die dahinterliegenden Konzepte schon direkt beieinander: Das erste Wort, das mir einfällt, wenn ich an „hoch“ denke, ist möglicherweise„tief“ und wenn etwas hoch ist, geht es daneben unweigerlich tief herunter, diese Konzepte können also nicht ohne einander existieren.
Die Gleichzeitigkeit der beiden Begriffsbedeutungen kann sinnbildlich für einen traumhaften Schwellenzustand verstanden werden, der innerhalb der raumgreifenden Installation spürbar wird. Auf den erwähnten Stoffbahnen, die in die Tiefe des Raumes gehen und die das Bild zugleich in verschiedenen Größen sichtbar werden lassen, ist Laub zu sehen, das sich langsam auflöst. Es scheint aus Eis zu bestehen und umgibt einen ebenso aus Eis geformten Torbogen. Sie ergeben ein zunächst statisch wirkendes Bild, das dadurch in Bewegung gerät, dass es Stück für Stück schmilzt – im Lauf dieses Prozesses wird der Raum immer dunkler, die Helligkeit des Raums wird bestimmt durch diese durchlässige Wand aus zarten Stoffbahnen und nimmt analog zu den langsamen Veränderungen der Videobilder zu oder ab.
Die Blätter und der Torbogen sind somit nach einer Weile verschwunden, daraufhin werden im hinteren Teil des Raumes Projektionen auf kleineren Flächen sichtbar: Flammen aus Eis scheinen auf und schmelzen über Brunnen, die aus weichen Schaumstoffziegeln aufgestapelt sind. Daraufhin erhält das Bild einer bergigen Landschaft aus Teig im vorderen Teil des Raumes Einzug: Berge, die – ausgelöst durch das Zusammenwirken von Hefe und Wärme – körperlich wabern und einatmen. Neben den Motiven, die sich häufig Elementen der mit dem menschlichen Körper unmittelbar interagierenden Architektur entlehnen (wie etwa Leitern, Torbögen oder Zaunelemente), ist das Arbeiten am Material (etwa mit Eis, Schaumstoff, Bauschaum, Teig, Satin und Tüll) in Kathrin Jobczyks Praxis wesentlich. Die Materialitäten der Objekte im Raum verschränken sich hierbei mit der ephemeren Erscheinung der Videos. Objekte und Videos tauchen nie für sich allein auf, sie werden erst im Zusammenspiel zu einem Ganzen, dessen Teile einander kontextualisieren und überlagern, aneinander anknüpfen und sich zu einer immersiven Rauminstallation verbinden. Das Zusammenspiel der einzelnen Motive und Materialien ist dabei vielfältig und voller fließender Übergänge. Ihre Beschaffenheit bewegt sich zwischen Weichheit und Erstarren, Zartheit und Widerstandskraft, einem störrischen Eigensinn und Aufplustern, einem langsamen Schmelzen oder Zusammenfallen.
Die somit dinglich und zugleich lebendig erscheinende Rauminstallation von doors left open wird untermalt von einer sphärischen Soundebene, in der Fragmente eines Texts hörbar sind. Sie erzählen von einer nahen Zukunft, die Zahl 2027 wird genannt. Es geht um eine Vorahnung, um eine rätselhafte Maschine, die niemand zu bedienen weiß, um Durchlässigkeit und Berührungen. „Niemand musste laut werden, um gehört zu werden“. „In aller Schwämme Poren“. „Du wolltest gehen.“ „Du Liebe.“ Es schwingt dabei ein Austarieren von Grenzen des (menschlichen) Daseins, von Verantwortung und von Leistbarkeit mit, das auch schon in anderen Arbeiten der Künstlerin eine Rolle spielt, in denen sie etwa die Alarmbereitschaft thematisiert, in der sich Pflegearbeit leistende Personen befinden. Die Ausstellung mit dem Titel „pharmacy of good intentions“ (Kunstverein Lüneburg, 2022) versammelte Arbeiten, die unter anderem auf das Sorgetragen und das Gefühl des Sich-Sorgens zwischen zwei Menschen Bezug nehmen. Während es dabei um die persönliche Ebene der zwischenmenschlichen Verantwortung ging, klingt nun eine weiter gefasste, geteilte Verantwortung, etwa für die Klimakatastrophe, an. Die Flammen aus Eis, die über den weichen Brunnen dahinschmelzen, wechseln sich nach ihrem Verschwinden wiederum mit Bildern von aufgehendem Hefeteig ab. In der Form des Teiges sind nun Gesichter zu erahnen.
Umkreist wird diese Szenerie, in deren Mitte ein Becken mit projizierten Wasserbewegungen steht, von einem abermals lebendig wirkenden Gebilde – eine Formation aus begrenzenden, zugleich beweglich und flexibel wirkenden Objekten, die wirken, als wären sie in einer Bewegung für einen Moment eingefroren. Die humorvolle Aura dieser Objekte steht ihrer lesbaren Botschaft gegenüber: Einige bilden Zeichen, vage erkennbar schreiben sie den Satz „when will you stop me“. Wieder geht es um einen Schwellenraum, hier ist es eine Grenzziehung: Wer stoppt hier wen? Und wenn ja, wann denn nun? Welche der Zeichen können klar gelesen, welche nur mit Mühe erkannt werden? Das Manische, Verzweifelte und Hilflose des Satzes hätte das Potenzial, sich dramatisch über den ganzen Raum der Ausstellung zu legen. Wäre da nicht die Möglichkeit, den Satz als provokante Aufforderung zu lesen. Die Formation der Schriftzeichen, die sich als eine bewegliche Abgrenzung zeigen, scheinen Spielräume und Handlungsoptionen in viele Richtungen zu öffnen.
Die Räume des Übergangs und der Ambivalenz, der offenen Türen und des Traumhaften sind Motive, die innerhalb der Ausstellung an verschiedenen Stellen aufscheinen und denen immer auch ein Potenzial innewohnt. Im Traum entziehen sich unsere inneren Bilder der sprachlichen Sortierung der Linearität und assoziative Verknüpfungen geben die Ordnung vor. Der Traum als Raum der Schwelle schafft also etwas Drittes, das nicht der Logik von Binarität und Gegensätzlichkeit folgt, festgefahrene Sortierungen werden verkompliziert, Ambivalenzen haben Raum. Träume dienen der Verarbeitung von Erlebtem und das Wanken zwischen Traum und Wachsein ist ein Zustand, der häufig eine besondere Klarheit mit sich bringt. Ideen und Gedanken, wichtige Entscheidungen können in den Momenten kurz nach dem Aufwachen oftmals klarer und spürbarer wirken, sie sind nicht mit den kognitiven Notwendigkeiten des Alltags, den vermeintlich klugen und linearen, rationalen Argumentationen des Wachseins vermischt. Text: Nora Brünger